OneVoice – Interview

OneVoice: Geboren wurde die Gruppe aus der Bewegung „Women – Life – Freedom“, welche nach dem gewaltsamen Tod der Jina Mahsa Amini in der Haft der iranischen Sittenpolizei die Gesellschaft im Iran aufrüttelte. Zum besseren Austausch, der Verwaltung von Spenden, vor allem aber für besseren Support von Frauenrechten, Menschenrechten und den Rechten der queeren Menschen im Iran haben Armiti, Imo und Atossa den Verein OneVoice e.V. for Women, Life, Freedom gegründet. Nach ihrer großartigen Rede zum CSD wollte, wie noch mehr zu diesem Thema wissen und Markus hat bei den Dreien nachgefragt.

 

Was war eure Motivation, den Verein zu gründen?

Armiti: Auch wenn in den Medien nicht mehr laufend über dieses Thema berichtet wird, erreichten uns immer mehr Stimmen aus dem Iran. Stimmen von den Leuten, die noch immer gegen das Regime kämpfen und uns baten „Vergesst uns nicht!“.

Atossa: Wir wollen zum einen der Schallverstärker dieser Menschen sein, auf der anderen Seite die Menschen hier in Europa weiter auf die Unfreiheit im Iran aufmerksam machen.

Imo: Allein schon das publik Machen der Namen jener, die inhaftiert sind und auf Prozess oder Hinrichtung warten, führt zu erhöhter
Aufmerksamkeit und lässt das Regime in manchen Fällen vorsichtiger handeln. So wurden schon Leben gerettet.

 

In Deutschland kann man manchmal den Eindruck gewinnen, die Bewegung im Iran hätte sich wieder zerstreut. Wie bewertet ihr die Situation?

Atossa: Es geht weiter, aber der Protest hat neue Formen angenommen. Auch wenn diese Revolution durch ein falsch getragenes Kopftuch entfacht worden ist, kämpfen die Menschen dort gegen die gesamte Unfreiheit.

Armiti: Auf den Straßen ist weniger davon zu sehen, dafür gibt es mehr kleinere Aktionen, zum Beispiel Protestbilder und -videos in Social Media, Streiks der Ölarbeiter und Rentner*innen und all jener, die nicht vom Regime profitieren. Selbst Angehörige der Basij-Milizen verurteilen insgeheim die Politik. Weil aber ihre Familien bedroht werden, können sie sich den Befehlen von oben nicht widersetzen.

Ist das denn noch eine einheitliche Bewegung mit einem gemeinsamen Ziel?

Armiti: Freiheit ist das Ziel aller. Atossa: Das Besondere ist diesmal, dass alle hinter den Frauen und ihrem Kampf stehen, quer durch alle gesellschaftlichen Schichten.

Imo: Die Menschen im Iran wollen einfach keine islamische Regierung mehr. Es ist schwer, genau anzugeben, wie hoch der Anteil an Unterstützer*innen ist. Sagen kann man aber, dass 6% der Bevölkerung zur Regierung gehören und etwa 15-20% direkt von ihr profitieren. Allen anderen geht es schlecht.

 

Setzen wir mal den Fokus auf queere Menschen. Wie ist deren momentane Situation im Iran?

Armiti: Wenn bei einem Familienmitglied auffällt, dass Queerness ein Thema sein könnte, wird es häufig möglichst schnell verheiratet.

Imo: Damit beweist man auch nach außen „Hier ist alles in Ordnung“.

Armiti: Die Kontrolle ist einfach überall. Wer Hand in Hand durch die Straßen läuft, muss seinen Beziehungsstatus erklären, selbst Hetero-Cis-Paare. Queerness in der Öffentlichkeit wird sofort geahndet. Die nehmen dich mit und in den Gefängnissen erwartet dich dann Folter und sogar Missbrauch. Imo: Es gibt sogar ein Gesetz, dass man, wenn man Menschen bei homosexuellem Verkehr erwischt, diese in einen Sack schnüren und einen Berghang hinunterstürzen darf. Interessanterweise sind geschlechtsangleichende Operationen im Iran möglich. Transsexualität wird nicht im Koran erwähnt und gilt deshalb nicht als Sünde, sondern als Krankheit, die durch die Operation geheilt werden kann.

Atossa: Homosexualität ist aber illegal. Manche versuchen, sich heimlich im Wald zu treffen. Da Iraner*innen meist bis zu ihrer Heirat bei ihren Familien leben, fällt es ohnehin schwer, seine Sexualität auszuleben oder auch nur den eigenen Körper kennenzulernen oder Dinge auszuprobieren wie Nagellack oder Kleidung. Der regimekritische Schauspieler Mohammad Sadeghi wurde aus solchen Gründen häufiger vom Regime verwarnt. Er wurde während eines Instagram-Livestreams aufgrund seiner regimekritischen Äußerungen verhaftet.

 

Werden die queeren Menschen denn von den anderen Gruppen auch supportet?

Armiti: Viele Demonstrant*innen benutzen den Slogan „Habt keine Angst, wir sind zusammen hier!“. Sie meinen damit, dass sie für alle Opfer der Regierung kämpfen, unabhängig von den Gründen. Die queere Community ist ein wichtiger Motor dieser Bewegung. Deshalb war es uns auch wichtig, in Aachen beim CSD sprechen zu dürfen.

Atossa: Wir müssen auch erwähnen, dass die Menschen im Iran deutlich toleranter sind als die Regierung. Die Gesellschaft ist insgesamt relativ jung und sehr gebildet – das ist für viele der einzige Weg, rauszukommen. Sie teilen die Ansichten der Regierung nicht.

 

Wie sieht das bei eurer Arbeit aus? Bekommt ihr Support oder habt ihr euch mit anderen Gruppen zusammengeschlossen?

Atossa: Women-Life-Freedom wird im Westen stark unterstützt. Wir arbeiten mit Gruppen, beispielsweise in Köln, Bonn oder Düsseldorf zusammen und treffen uns auch manchmal zu gemeinsamen Workshops, um unsere Arbeit zu professionalisieren. Hier vor Ort unterstützen uns aus der Politik Die Grünen. Unsere Bürgermeisterin Hilde Scheidt und die Bundestagsabgeordnete Ye-One-Rhie sind sehr interessierte Unterstützerinnen. Ye-One Rhie von der SPD hat eine politische Patenschaft für den Rapper Toomaj übernommen, um so dessen Befreiung zu unterstützen. Auch mit Amnesty International stehen wir in Kontakt. Auch die ISA, eine Gruppe iranischer Studierender an RWTH und FH Aachen, unterstützt uns und war z.B. auch beim CSD mit dabei.

Armiti: Mit dem Stadttheater haben wir bereits mehrere Aktionen gemeinsam gemacht. Die haben Banner aufgehangen und uns auf dem Theaterplatz ganz unkompliziert auch mit Strom und Technik unterstützt. Das ist nicht selbstverständlich.

Imo: Mit Gruppen im Iran können wir leider nicht direkt zusammenarbeiten. Die Kommunikation im Netz wird überwacht. Wenn wir starke Aktionen starten, bringen wir die Leute vor Ort, die mit uns in Verbindung stehen, in große Gefahr.

 

Welche Möglichkeiten gibt es denn außer den politischen Patenschaften, um auf das Regime im Iran einzuwirken?

Imo: Wichtig wäre, mehr Druck auf deutsche Firmen auszuüben. Vor kurzem ist herausgekommen, dass Siemens und Bosch den Iran mit Sicherheitstechnik ausgestattet haben, welche dieser nutzt, um die Bevölkerung zu kontrollieren, Versammlungen zu verhindern und Gegner*innen auszuschalten. Sanktionen wie das Kappen von direkten Geschäftsbeziehungen können hier helfen, aber auch der Handel über Drittländer sollte besser überwacht werden.

Atossa: Das Wichtigste, was jeder Mensch tun kann, ist, die Stimme der Menschen im Iran zu sein. Folgt den verlässlichen Aktivist*innen auf den Sozialen Medien und teilt deren Beiträge, damit das Thema sichtbar bleibt und Menschen darüber ins Gespräch kommen. Das merkt dann auch die Politik. Armiti: Es geht darum, nicht vergessen zu werden.

 

Wer dazu Fragen hat oder entsprechende Accounts sucht, kann uns immer über unseren Instagram-Account erreichen: @onevoice_ac

Was muss passieren, damit die Veränderung eintritt?

Armiti: Der Druck von außen müsste sich erhöhen. Schon am Anfang der Bewegung war der Druck enorm, aber das Regime rechnet damit, dass das Interesse des Westens vergeht. Und dann können sie so weitermachen wie bisher. Druck geht sowohl über Wirtschaft und Politik, als auch durch die Öffentlichkeit.

Welche Rolle spielte für euch euer Auftritt beim CSD Aachen?

Imo: Ich hätte niemals gedacht, dass sich in Aachen so viele Menschen für das Thema Rechte für queere Menschen interessieren und auf die Straße gehen.

Armiti: Auf uns sind ungeheuer viele Menschen zugekommen, haben nach unserem Verein gefragt und wollten sogar T-Shirts mit unserem Slogan Queer – trans* – Azadi [kurdisch für Freiheit] kaufen. Davon waren wir echt überwältigt.

Atossa: Den Slogan haben auch viele in der Demo mit uns gerufen, das war richtig toll. Unser Insta ging danach richtig rund und auch die Aachener Zeitung hat in ihrem Instagram-Account einen Beitrag über uns geteilt.

Armiti: Ich wurde sogar von Kolleg*innen auf der Arbeit angesprochen, die sich jetzt für unser Thema interessieren.

Atossa: Für unsere Motivation war das wunderschön. Alle Menschen beim CSD waren nicht nur super gelaunt, sondern offen, interessiert und unterstützend. Das fand ich echt schön. Ich habe auch schon andere CSDs besucht, fand aber in Aachen besonders, dass es nicht nur eine Feier war, was auch ok, wäre. Es war aber keine oberflächliche Veranstaltung, sondern richtig mit Substanz mit vielen interessierten und kritischen Menschen.

Imo: Nächstes Jahr können wir vielleicht einen Infostand auf die Beine stellen. Wir wären auf jeden Fall gerne wieder dabei.

 

Und was sind eure nächsten Schritte?

Armiti: Am 16.09. ist der jährt sich der Todestag von Jina Mahsa Amini zum ersten Mal. Dazu werden verschiedene Gruppen, die auch mit uns zusammenarbeiten, Aktionen starten.
Wir selbst veranstalten am 17.09. eine Gedenkfeier mit Kulturprogramm und Ansprachen in Kooperation mit dem Welthaus e.V. Schaut dafür am besten auf unser Insta.

Atossa: Abgesehen davon wollen wir natürlich wachsen. Das bedeutet zum einen neue Mitglieder zu gewinnen, zum anderen, mit mehr Veranstaltungen auf die Ungerechtigkeiten im Iran hinzuweisen und so mehr Unterstützung zu gewinnen. Daneben suchen wir natürlich Räumlichkeiten für unseren Verein, das hängt aber davon ab, ob wir finanzielle Mittel bekommen. Momentan zahlen wir alles selber, werden aber auch bei einzelnen Aktionen von anderen unterstützt. Bei uns ist einfach noch vieles ganz am Anfang.
Wir finden, ihr seid auf einem großartigen Weg. Vielen Dank für euren Einsatz und dieses Interview!

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