Verfolgung queerer Menschen in Aachen

von Holger Dux

Übergabe einer Tafel zum dezentralen Gedenkort „Wege gegen das Vergessen“ im Rahmen des diesjährigen CSD am Samstag, 13. Augst 2023.

Der Rückblick auf die Geschichte queerer Menschen ist in kleineren und mittelgroßen Städten schwieriger als in Großstädten. In den Archiven wie dem CSG in Köln oder inzwischen erschienenen Veröffentlichungen wird zwar die Situation in Berlin, Düsseldorf und Köln beleuchtet, Aachen erscheint aber nur in einer Handvoll Nebensätzen. Deshalb hat es auch mehr als zwanzig Jahre gedauert, ehe die Tafel die „Wege gegen das Vergessen“ ergänzen wird.

Von Anfang an war eine solche Tafel vorgesehen, falls man einen Ort benennen und einen auf recherchenbasierten Text formulieren könnte. Damals stellte sich die Frage, wo man überhaupt anfangen könnte? Als der Rat beschlossen hatten, die vhs Aachen mit der weiteren Bearbeitung der Wege gegen das Vergessen zu beauftragten, haben die Verantwortlichen von Anfang an Zeitzeugen eingebunden. Niemand hat jedoch sein Wissen zum Komplex der verfolgten queeren Menschen teilen mögen. Zu belastend waren die damit verbundenen Erinnerungen.
Der Blick in die Geschichte hilft weiter. Nach der Gründung des Deutschen Reichs war Homosexualität nur strafbar, wenn die Handlungen ein öffentliches Ärgernis waren oder einer der Beteiligten einen Strafantrag stellte. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts kämpfte das „Wissenschaftliche humanitäre Komitee“ sowie der Sexualwissenschaftler und Menschenrechtler Magnus Hirschfeld (1868–1935) für die Abschaffung des §175. Der 1919 veröffentlichte Film „Anders als die Anderen“ versuchte, aufzuklären. Es war die Zeit, als Zeitschriften wie „Der Eigene“ auch in einer Aachener Zeitschriftenhandlung an der Normaluhr verkauft worden sind. Darin veröffentlichte man Kontaktanzeigen.

Im Jahr 1935 endeten alle Bemühungen um eine Liberalisierung des §175. Danach wurden Homosexuelle beobachtet, denunziert, verfolgt, verhaftet, deportiert und ermordet. Bisweilen geschah dies aus nichtigem Anlass: einem zu langen Blick, dem flüchtigen Berühren zweier Knie oder Händen, die in Hosentaschen steckten. Aus der Neuformulierung durch die Nationalsozialisten ergab sich eine vollständige Kriminalisierung. Die Zahl der Strafverfahren schnellte rasant in die Höhe. Die Reichszentrale zur „Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung“ erfasste Homosexuelle in einer sogenannten „Rosa Liste“. Rund 50.000 Strafverfahren wurden eingeleitet, tausende Menschen starben in den Todeslagern.
Eine Anerkennung queerer Menschen als Verfolgte des NS-Regimes setzte nicht schon am Ende des Zweiten Weltkriegs ein. Im Gegenteil: In den ersten 20 Jahren der BRD gab es über 100.000 Ermittlungsverfahrung und 50.000 Verurteilungen, die aus der Kriminalisierung queerer Menschen resultierten. Die Zahlen sind in etwa genauso hoch wie zwischen 1933 und 1945. Von der Gesellschaft verachtet, allenfalls in einigen wenigen Fällen geduldet, lebten queere Menschen mit der ständigen Angst, erwischt zu werden. Erst 1969 erfolgte eine Reform des von den Nationalsozialisten formulierten Paragraphen. Endgültig abgeschafft wurde er erst 1994.

Von dieser Entwicklung aus gesehen ist es verständlich, dass sich keiner bereit erklärte, von seinen Erfahrungen zu berichten. Gruppen und Initiativen, wie beispielsweise die „Printenschwestern“ oder das „Schwulenreferat“, die sich nach 1969 gründeten, hatten ganz andere Themen, als sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen.

Verschiedene Recherchen aus den 2000er Jahren, die Untersuchung von Gerichtsakten und die intensive Recherche im Vorfeld der Verlegung des 1. Stolpersteins für einen ermordeten Homosexuellen sowie der intensive Austausch mit dem Queerreferat Aachen e.V., Rainbow Aachen e.V., der AG Queer der SPD und verschiedener privater Forscher*innen führten zum Erfolg.

Die Tafel trägt den Text:
„Nach einer Zeit der Verbesserung der Lebensumstände queerer Menschen während der Weimarer Republik, nahm in der NS-Zeit deren Verfolgung stark zu. Sie wurden ausgegrenzt, denunziert, verfolgt, geschunden, deportiert und ermordet. Queeres Leben war nur im Verborgenen möglich. In diesem Häuserblock lagen zwei Lokale, wo noch versteckt Kontakt gesucht wurde, nachdem andere Orte für offeneres queeres Auftreten ab 1933 wegfielen.“

Allen, die daran mitgewirkt haben, dass es heute am Münsterplatz einen Ort in Aachen gibt, an dem der verfolgten queeren Menschen gedacht werden kann, ein herzliches Dankeschön. Es wäre begrüßenswert, wenn sich auch zukünftig weitere Details herausarbeiten lassen.

Terminhinweis:
Enthüllung der Erinnerungstafel zur Verfolgung queerer Menschen am 12. August 2023 um 13:00 Uhr am Münsterplatz 12 in Aachen. 

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